Auf dem Land leben nur Hinterwäldler. Verwandt sind sowieso alle miteinander und dass die Erde rund ist, weiss auch noch nicht jeder. Als Landei musst du dir einiges anhören. Zu unrecht! Eine Liebeserklärung an das Dorf.
Liebes Dorf,
liebes Herbetswil
Du hast mein Leben geprägt. Und prägst es weiterhin. Du hast mich zu dem gemacht was ich heute bin: Ein Landei. Eines, das sich nicht vor der weiten Welt fürchtet - wag ich zumindest zu behaupten. Seit einigen Jahren bin ich - Beruf sei dank - mehrheitlich in der Stadt unterwegs. Aber so richtig kann ich mich damit nicht anfreunden. Landei bleibt Landei. Auch wenn es zeitweise in der grossen Stadt lebt.
Ja, es gibt da so einige Vorteile in der Stadt. Ich kann zwischen fünf Coop-Filialen in Fussdistanz auswählen. Warte an der Tramhaltestelle nie mehr als sieben Minuten und profitiere von einem Arbeitsweg unter zehn Minuten. Aber ganz ehrlich: Brauche ich das wirklich? Macht mich das glücklich? Definiere ich so Wohlstand? Nein.
Du, liebes Dorf, bietest mehr. Du bist keine Oase der Anonymität, dafür eine der Ruhe. Bei dir spanne ich im Sommer die Hängematte und geniesse ungestörte Stunden im Garten. Ich fühle mich Zugehörig, wenn ich aus dem Bus steige und mit einem "Sali Joël" begrüsst werde. Manche Menschen fühlen sich bei dir ständig beobachtet. Ich schätze die Verbundenheit mit Nachbarn und deiner Bevölkerung allgemein. Man trifft sich in deiner Beiz, in den verschiedenen Vereinen oder im Hüttli auf dem Berg.
Bei dir löst man Probleme von Angesicht zu Angesicht an der Gemeindeversammlung. Man denkt, streitet, trinkt und lacht miteinander. Manchmal in dieser Reihenfolge oder auch mal in die entgegengesetzte. Zieht jemand Neues bei dir ein, so findet er eigentlich immer Anschluss (ausser er ist wirklich ein komischer Chutz). Langweilig ist es bei dir auch nie. In den Vereinen, Gärten oder Höfen gibt es genug zu tun.
Wir sollten viel mehr Sorge tragen zu dir, denn du wirst laufend gefordert. Während in Städten von Dichtestress die Rede ist, sorgst du dich eher um dein Aussterben. Dorfläden schliessen, Vereine lösen sich auf, ja sogar Bankomaten werden ausgebaut. Die Metzg, die Chäsi, die Post, die Bank und das Maxi kennen viele nur noch vom hören sagen. Kommt eine Entwicklung ins Rollen, lässt sie sich nicht so schnell stoppen. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich die aktuelle Pandemie nicht als Brandbeschleuniger entpuppt.
Um das zu verhindern, sind wir alle gefordert. Das Dorfleben geniessen ist einfach. Wir müssen es auch leben. Wenn es darum geht sich in Vereinen zu engagieren, im Dorfladen einzukaufen oder in der Dorfbeiz zu konsumieren, müssen wir uns an der eigenen Nase nehmen. Nur so werden dich auch unsere Kinder lieben.
Ich bin und bleibe ein stolzes Landei. Danke, dass du mich dazu gemacht hast.
Filmtipp
Zum Beispiel Suberg
In nur drei Jahrzehnten hat sich Suberg vom verschlafenen Bauern- zum anonymen Schlafdorf entwickelt. Mit feinsinnigem Humor zeigt der Filmemacher Simon Baumann am Beispiel seines Heimatdorfes die Veränderungen: Vereinsamung, Zersiedelung und der Druck der Rentabilität in einer globalisierten Welt.